Eine Geschichte: Der Wobbler

Eure Buchtipps zum Thema Drechseln und Holzbearbeitung

Moderator: Raupenzwerg

Antworten
Benutzeravatar
woody-bernhard
Beiträge: 265
Registriert: 21.02.2005 - 14:12:31
Ort: München

Eine Geschichte: Der Wobbler

Beitrag von woody-bernhard »

Vor längerem hab ich mal für meine Kinder diese Geschichte geschrieben, wir haben HIER schon mal diskutiert, ob man einen Wobbler nun drechseln kann oder nicht, aber das soll hier nicht das Thema sein, es geht nicht unbedingt um den Wobbler, dessen Name ist nahezu gegen alles aus Holz austauschbar (und was im weitesten Sinne ein Spielzeug ist)

Heut hat sich ein Namensvetter von mir hier im Forum vorgesstellt (Bernd) und hat von einem (Holz-)Zauberer erzählt, das hat mich wieder an diese Geschichte erinnern lassen. Ich hoffe sie gefällt Euch, darf auch gerne weitererzählt werden :-)



Der Wobbler

Oft dachte er an früher zurück, an den Blick über das weite Tal, die vielen zwitschernden Vögel und all die Ameisen, die so schrecklich gekitzelt haben, an die Schneelast im Winter, die kräftigen Herbststürme und die sprießenden Säfte im Frühling. Doch am liebsten waren ihm die Erinnerungen an spielende Kinder, dort unten auf der Wiese, das fröhliche Juchzen und ausgelassene Scherzen, da war er richtig glücklich, wenn auch nur als stiller Beobachter...

Doch dann, eines tiefen Winters fand das alles ein jähes Ende, schon die allerersten Geräusche ließen ihn böses ahnen und kaum 2 Stunden später, nach tösendem Motorsägenlärm, nach tiefen Wunden durchs Herumziehen und ruppigem Aufeinanderschlichten fand er sich als Meterware auf einem Traktoranhänger wieder.

Gerade noch im Winterschlaf und nun auf einem holpernden Weg in eine ungewisse Zukunft.

Wohin die wohl ging? Ob er die Kinder jemals wiedersehen sollte?

Lange lange Zeit musste er Geduld haben, nein die Kälte war's nicht, die er spürte, eher die Einsamkeit. Noch kleiner zerteilt wurde er in der Zwischenzeit, gespalten und aufgeschlichtet, zuerst kunterbunt auf einen Haufen geworfen, doch dann -wenigstens- mit schöner Aussicht in einer kunstvoll arrangierten Holzlege seitlich an einem Haus. Jahre müssen so vergangen sein, Jahre, die nur vom Wetter Abwechslung erfuhren, ab und zu ging jemand vorbei, aber die Kinder sah er nicht wieder. Unter all den anderen Holzstücken wurde gemunkelt, sie würden verbrannt werden, manch einer hätte da schon sehr verdächtigen Geruch wahrgenommen, aber daran wollte er absolut nicht glauben! Er, dieses wunderschöne Stück Ahorn in einem Ofen enden? Nein nie und nimmer!!

Aber langsam nahm der Druck ab, die Last der anderen Stücke, die über ihm lagen wurde immer geringer und bald lag auch seine Längsseite in der Sonne, wie schön!! So könnte die Zukunft weitergehen, er schöpfte ganz viel Hoffnung auf das was da kommen mag!

Aber eines Abends weckten ihn jähe Schreie, andere Holzstücke schrien:

„Nein! Nein, ich doch nicht, bitte nicht!!!“

Doch es war zu spät, alle wurden sie gepackt und in den Sarg geworfen, so nannten manche diesen Korb, der sie wohl in Richtung Ofen transportierte. Ihm wurde ganz übel, schwindlig und wütend zugleich, nein SO hat er sich seine Zukunft nun wahrlich nicht vorgestellt!

Doch was für ein Wunder... auf einmal wurde es ihm ganz warm ums Herz. Nein nicht durch die geheizte Stube in der er sich befand, es waren die Geräusche, die er hörte, so viele Jahre waren vergangen und er hörte sie wieder... die Kinder!!
Aber auch aus diesem Glück wurde er wieder jäh herausgerissen und mit ein paar anderen Leidensgenossen von zwei Händen Richtung offener Ofentür getragen. Diese Hitze... dieses fürchterliche Knacken, nein, das wollte er nicht, aber er konnte sich nicht wehren, nur auf ein Wunder hoffen!

Und das geschah, als er mit einem kleinen Ästchen, das ihm noch geblieben war, am Ofentürl hängen blieb und zu Boden fiel. Das Türchen ging wieder zu und er war vorerst gerettet. Es war eine andere Hand, die ihn wieder aufhob, nicht so grob und er merkte, wie er hin und her gedreht, fast liebevoll betrachtet wurde.

Dann ging es wieder schnell... Türen gingen auf und zu, Treppe runter, erst dunkel, dann helles Licht und ganz langsam erkannte er... daß er sowas wie hier bisher noch nie gesehen hatte. Später erfuhr er, daß das eine Werkstatt war, er selbst aber beharrte für immer, daß das tausendmal eher ein Schönheitssalon für Holz war, als eine Werkstatt!

Was nun geschah, war unglaublich! Er wurde geschliffen und geraspelt, angezeichnet und vermessen, selbst ein Zirkel kam zum Einsatz und immer wieder diese Hände, die ihm einfach soooo gut taten, fast wie die Ameisen von früher, nur viiiel schöner! Es war ihm kaum möglich zu verfolgen, was mit ihm geschah, es war eine Abnehmkur und ein Aufpolieren, ein mit Ölen bestreichen und wieder Polieren, er konnte gar nicht genug bekommen von all diesen schönen Behandlungen, aber irgendwann wurde er ins Licht gehalten und er hörte ein zufriedenes „fertig!“.

Dann ging es flugs den Weg zurück, ins Dunkle, über die Treppe und hinein in die warme Stube.

„Da schau her, hab ich grad für dich gemacht“ und er wurde von der wohltuenden Hand in eine viel kleinere weitergereicht, eine KINDERHAND!!! Und dieses Kind rief voller Freude:

„Oh Papa dankeschön ein Wobbler! Den hab ich mir schon so lange gewünscht, Danke!“

Tja und dieser Tag sollte sein Leben wieder mal von Grund auf verändern... er ging durch noch viele Kinderhände, mit ihm wurde stundenlang gespielt und er wurde gehütet wie ein Schatz. War das ein schönes Leben!



BS 2010
in jedem Stück Holz steckt das womöglich schönste Kunstwerk der Welt... man muß nur das "außenrum" wegmachen...
Antworten

Zurück zu „Leseecke“